Auf dem Wanderbühnenfestival treten Künstlerinnen und Künstler verschiedener Kulturen und Genres auf. Im September trafen sie sich auf dem Wilhelmsplatz in der Weststadt, eingeladen vom Theater Carnivore aus Heidelberg.

Jean Guillon ist Geschichtenerzähler. Ein fahrender Geschichtenerzähler mit einem riesigen weißen Schnauzbart, der aus Marseille den ganzen weiten Weg nach Heidelberg gekommen ist, um in seinem ausgedienten Linienbus Märchen zu erzählen, die aus seiner Heimat, der Provence, stammen.

Jean Guillon und Kollegen sind auf dem Wilhelmsplatz zum Wanderbühnenfestival zusammengekommen. Eingeladen hat Florian Kaiser, Theater Carnivore, aus dem DEZERNAT#16, gefördert wird das Festival von der Stabsstelle Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt. Der Schauspieler leitet sein fahrendes Theater seit 2015, zusammen mit bis zu 14 weiteren Freischaffenden, die das Stück „schwerelos“ des Heidelberger Autors Marcus Imbsweiler und das Erzähltheater für Kinder „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ mitgebracht haben.

Engagierte Künstlerinnen und Künstler

Das Wanderbühnenfestival ist nicht nur ein facettenreiches Open-Air-Theater. Es ist ein Ort, an dem die Urform des Theaters und die Utopie von einer engagierten Gesellschaft Hand in Hand gehen. Ein Ort, den Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Genre zusammen schaffen, um Leben und Arbeit miteinander und mit ihrem Publikum zu teilen. Außerdem halten hier die Wanderbühnen ihre regelmäßigen Zusammenkünfte ab. Sie alle sind Mitglied im Verein Citi (Centre International pour les Théâtres Itinérants). Zu Deutsch in etwa: Internationaler Wanderbühnenverein.

Mit Citi treffen nicht nur langjährige Freunde und Partner aufeinander, hier werden Erfahrungen und Vorträge rund um den Sprachaustausch, die unterschiedlichen Bedingungen für freischaffende Künstlerinnen und Künstler in verschiedenen Ländern und über die Notwendigkeit von kulturellen Freiräumen gesprochen.

Wanderbühnen haben gemeinsam, dass sie im Freien spielen, auf oder in einem fahrbaren Untersatz. Guillon, der Geschichtenerzähler, erklärt: „Anders als bei einem Straßentheater-Festival laden die Wanderbühnen das Publikum zu sich ein. Es gibt ein festes Programm. Neben Theater ist jedes andere Genre denkbar: Filmabende, Performance, Zirkus, Tanz oder Lesungen.“

Inspiration durch das Wanderleben

Auch wenn mit Florian Kaiser (Theater Carnivore) die deutsche und mit Le Cabaret Nomade die tschechische Sektion der Wanderbühnen vertreten ist, wird dem Besucher schnell klar: Die Welt der Wanderbühnen hat ihren Schwerpunkt in Frankreich. Dies liege nicht zuletzt daran, dass Künstlerinnen und Künstler in Frankreich von einer unbürokratischen öffentlichen Förderung profitieren, so Florian Kaiser, der sich sein fließendes Französisch im Studium in Besançon angeeignet hat.

Die Mobilität und damit Internationalität des Wanderbühnendaseins fließt in die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler mit ein. „Ich liebe es, im Ausland zu spielen“, schwärmt Bruno Thircuir, der mit seiner Truppe von La Fabrique des Petites Utopies aus Grenoble angereist ist. „Die Mischung der Sprachen und der Kulturen ist unglaublich inspirierend.“ Für das Stück „Et si l’océan“/ „Was, wenn das Meer“, einem Objekttheater für Kinder, hat er die zweisprachige Schauspielerin Henrietta Teipel für die Hauptrolle engagieren können. Die Tschechen hingegen geben Stücke auf Englisch oder spielen ganz ohne Worte. Geschichtenerzähler Jean Guillon lässt sich aktiv von seiner Umgebung inspirieren: „In Frankreich spreche ich auf Französisch, hier auf Deutsch“, sagt er, für den Deutsch die „Sprache der Freiheit“ ist.